Ein Kind steht auf einer weiten Wiese und blickt mit einem Fernglas in die Ferne – Symbol für Zukunft, Wachstum und Selbstfindung im Human Code Stil.

Was willst du mal werden, wenn du groß bist?

Wie eine scheinbar harmlose Frage unsere Identität formt

Es ist eine der ersten Fragen, die Kinder in unserer Gesellschaft gestellt bekommen.
Oft liebevoll gemeint, manchmal beiläufig – und doch tief kulturell verwurzelt:
„Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“

Diese Frage begleitet uns wie ein unsichtbarer Faden – vom Kindergarten bis ins Bewerbungsgespräch. Doch sie verrät mehr über unsere Gesellschaft, als über die Kinder, an die sie gestellt wird.

1. Die früheste Form von Identitätsbildung

Schon im Vorschulalter beginnen Kinder, Vorstellungen über ihre Zukunft zu entwickeln. Studien zeigen, dass sie bereits ab dem vierten Lebensjahr Berufsbilder kennen und zuordnen können (Häfele, 2015). Dabei spielen Eltern, Medien und Schule eine zentrale Rolle.

Kinder übernehmen Rollen, die sie beobachten – etwa Lehrer:innen, Ärzt:innen oder Influencer.
Doch noch bevor sie verstehen, was diese Berufe bedeuten, lernen sie:

Erfolg, Anerkennung und „Werden“ sind etwas, das man sich erarbeiten muss.

Das heißt: „Wer bin ich?“ wird früh mit „Was mache ich?“ verknüpft.
Damit wird Identität – besonders in westlichen Kulturen – von Anfang an leistungsbezogen konstruiert.

2. Gesellschaftliche Spiegel: Was die Frage über uns verrät

Die Frage nach dem „Was willst du werden?“ spiegelt ein kulturelles Grundmuster wider:
Wir definieren Wert über Funktion.
Über Produktion statt Sein, Ziele statt Gegenwart, Zukunft statt Jetzt.

Im Buddhismus oder in indigenen Kulturen ist die Frage nach dem „Wer bist du?“ stärker an Gemeinschaft, Werte oder Sein gekoppelt. In Deutschland hingegen steht häufig die ökonomische Identität im Vordergrund – ein Erbe der industriellen Moderne.

Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt dies als „Beschleunigungsgesellschaft“:
Wir suchen Selbstvergewisserung durch Leistung und Status.
Das Kind wird dadurch – meist unbewusst – früh in dieses System hineingeführt.

3. Der Druck des Werdens

Eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI, 2024) zeigt: Jugendliche empfinden zunehmend „Optionsstress“ – also den Druck, sich in einem Meer an Möglichkeiten „richtig“ entscheiden zu müssen.
Bereits 60 % der Befragten fühlen sich überfordert von Zukunftsentscheidungen.

Die klassische Frage „Was willst du werden?“ verstärkt diesen Druck, weil sie ein lineares Weltbild suggeriert:

  • Es gibt ein Ziel und eine richtige Antwort.
  • Man muss sich entscheiden – früh, klar, endgültig.

Doch die moderne Arbeitswelt – volatil, digital, dynamisch – verlangt heute genau das Gegenteil: Anpassungsfähigkeit, Neugier, Lebenslanges Lernen.

Das alte Konzept des „Berufs fürs Leben“ bricht auf – aber unsere Sprache folgt noch alten Mustern.

4. Einfluss von Eltern und Umwelt

Mehrere Studien, u. a. des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB, 2018), zeigen:
Die Erwartungen der Eltern prägen Berufsvorstellungen ihrer Kinder stärker als Schule oder Medien.
Kinder spiegeln nicht nur den Beruf der Eltern, sondern auch deren Wertebilder – was „sicher“, „angesehen“ oder „vernünftig“ ist.

Zugleich belegen OECD-Analysen (2020), dass Kinder weltweit ihre Berufswünsche in einem erstaunlich engen Rahmen entwickeln – meist auf 10–15 klassische Berufe beschränkt.
Auch hier wirken Stereotype und Rollenbilder stark fort: Mädchen wählen häufiger soziale oder kreative Berufe, Jungen technische oder statusorientierte.

5. Wenn Medien die Zukunft malen

Eine experimentelle Studie (Strehlau et al., 2016) zeigte, dass Kinderbücher direkt beeinflussen, welche Berufe Kinder sich vorstellen können.
Wenn Geschichten ungewöhnliche Rollenbilder enthalten (z. B. weibliche Pilotinnen oder männliche Erzieher), erweitert sich das Spektrum der Berufswünsche messbar.

Mediale Vielfalt ist also nicht nur Repräsentation – sie ist mentale Freiheit.

6. Was wäre, wenn wir anders fragen?

Statt „Was willst du werden?“ könnten wir fragen:

  • „Was interessiert dich im Moment am meisten?“
  • „Was würdest du gern lernen?“
  • „Wobei fühlst du dich lebendig?“

Diese Fragen öffnen Räume statt sie zu schließen.
Sie fördern intrinsische Motivation und Identitätsentwicklung – und geben Kindern das Gefühl, dass ihr Wert nicht von späterem Erfolg abhängt.

Denn Kinder sind schon etwas, bevor sie etwas werden.

7. Warum das auch uns betrifft

Erwachsene, die auf diese Kindheitsfrage zurückblicken, spüren oft, wie tief sie geprägt hat.
Viele fühlen noch heute den Druck, etwas „sein zu müssen“.
Karriere wird zur Ersatzreligion; Burnout zur Folge von fehlender innerer Balance zwischen Sein und Werden.

Der Psychologe Erik Erikson beschrieb Identitätsentwicklung als Prozess des kontinuierlichen Werdens – aber mit der Betonung auf Selbstintegration, nicht auf Status.
In diesem Sinne wäre die gesündere Frage nicht „Was willst du werden?“,
sondern:

„Wie willst du leben – und wer möchtest du auf dem Weg dorthin sein?“

Vom Werden zum Sein – Eine Human Code Perspektive

Wenn wir verstehen, wie tief diese kleine Frage – „Was willst du werden?“ – in uns verwurzelt ist, erkennen wir: Sie ist Ausdruck einer Kultur, die das Machen über das Menschsein stellt.
Doch Menschsein ist kein Ziel. Es ist ein Prozess.
Ein Rhythmus aus Werden, Wachsen, Ruhen und Loslassen.

Genau hier setzt der Human Code an – als Gegenbewegung zur permanenten Selbstoptimierung.
Er erinnert daran, dass Entwicklung nicht linear verläuft, sondern zyklisch.
Dass echte Reife nicht entsteht, wenn wir Ziele abhaken, sondern wenn wir verstehen, wie wir leben wollen.

Zirkadian leben – den eigenen Rhythmus wiederfinden

Kinder leben intuitiv im Moment. Erst die Erwachsenenwelt zwingt sie in Taktungen, Leistungsphasen und To-do-Listen.
Wer zirkadian lebt, erinnert sich daran, dass Lebenskraft aus natürlichen Rhythmen kommt – nicht aus ständiger Planung.
Das gilt auch für unsere persönliche Entwicklung: Sie braucht Phasen des Reifens, Ruhezeiten, innere Pausen.

Natürlich bewegen – sich in Bewegung erleben

Das Werden ist keine rein geistige Übung.
Bewegung – körperlich, emotional, geistig – schafft Verbindung zwischen Innen und Außen.
Wenn Kinder rennen, klettern, tanzen, sind sie. Nicht, weil sie etwas leisten, sondern weil sie sich spüren.
Das ist ein Kern des Human Code: Erfahrung statt Etikett.

Adaptiv fordern – wachsen ohne zu verbiegen

Die moderne Berufswelt verlangt Anpassung, doch sie braucht mehr denn je Menschen mit innerer Stabilität.
Adaptives Fordern heißt: sich herausfordern, ohne sich zu verlieren.
Nicht, weil jemand fragt „Was willst du werden?“, sondern weil man selbst spürt: Ich wachse an dem, was mich lebendig fordert.

Bewusst abschirmen – sich vom Erwartungsrauschen lösen

Die permanente Bewertung von außen – Noten, Likes, Titel – führt dazu, dass Kinder (und später Erwachsene) ständig im Außen suchen.
Bewusstes Abschirmen bedeutet, wieder zu lernen, die eigene Stimme zu hören.
Es ist der Moment, in dem man aufhört, auf die Frage „Was soll ich werden?“ zu antworten – und anfängt zu fragen:

„Was bleibt, wenn ich nichts mehr werden muss?“

Tief verbunden – jenseits von Rollen

In einer gesunden Gesellschaft definieren wir Menschen nicht über ihre Rollen, sondern über ihre Beziehungen, Werte und Beiträge zum Ganzen.
Kinder, die erleben, dass sie angenommen sind, bevor sie etwas leisten, entwickeln tiefes Vertrauen in sich und andere.
Diese Verbundenheit ist die Grundlage jeder authentischen Entwicklung.

Schlussgedanke: Sein als Ursprung des Werdens

Der Human Code erinnert uns daran, dass Werden kein Sprint zum Ziel ist, sondern ein Tanz zwischen Sein und Möglichkeit.
Unsere Aufgabe ist nicht, Kinder auf eine feste Rolle vorzubereiten – sondern sie in die Lage zu versetzen, auf sich selbst zu hören, flexibel zu bleiben und Sinn zu finden in dem, was sie tun.

Vielleicht sollten wir die berühmte Frage daher umkehren und sagen:

„Ich bin schon – und ich werde weiter.“

Das ist das eigentliche Versprechen menschlicher Entwicklung:
Wachstum ohne Entfremdung. Werden aus Verbundenheit.

Quellen & Studienverzeichnis

  1. Häfele, E. (2015). Was ich einmal werden möchte – Berufsvorstellungen und Zukunftsvorstellungen bei Kindern. Forschungsnetzwerk AMS, Vorarlberg.
  2. Deutsches Jugendinstitut (DJI). (2024). Berufliche Orientierung im Strukturwandel. München.
  3. Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). (2018). Berufswahlkompetenz und ihre Förderung. Bonn.
  4. OECD (2020). Dream Jobs? Teenagers’ Career Aspirations and the Future of Work. Paris.
  5. Strehlau, N., et al. (2016). Medien und Berufsvorstellungen von Kindern: Eine experimentelle Studie zum Einfluss von Kinderbüchern auf das Berufsspektrum von Kindergartenkindern. ResearchGate.
  6. Erikson, E. H. (1968). Identity: Youth and Crisis. W. W. Norton & Company.
  7. Rosa, H. (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag.
  8. BIBB (2019). Beruf fängt in der Schule an. Bonn.
  9. Eltern-Kinder-Studie (AMS Österreich, 2023). Eltern, Kinder, Bildungs- und Berufsentscheidungen.
  10. BPS (2023). Childhood aspirations are an important driver of achievement later in life. British Psychological Society Digest.

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