Das Impostor-Syndrom – Wenn Erfolg sich wie Betrug anfühlt
Warum selbst erfolgreiche Menschen an sich zweifeln – und wie du das Muster durchbrechen kannst
Ein leiser Zweifel trotz Erfolg
Du hast etwas erreicht, worauf du stolz sein könntest – doch anstatt Freude spürst du Unsicherheit. Ein Gedanke schleicht sich ein: „Ich habe das gar nicht verdient.“
Wenn du so denkst, bist du nicht allein. Millionen Menschen erleben dieses Phänomen, das als Impostor-Syndrom oder Hochstapler-Syndrom bekannt ist. Es betrifft Studierende, Führungskräfte, Kreative – und besonders jene, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen.
Was steckt hinter dem Syndrom?
Der Begriff wurde 1978 von den Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes geprägt. Er beschreibt Menschen, die trotz objektiver Erfolge überzeugt sind, ihre Leistungen nicht verdient zu haben. Sie glauben, ihre Karriere oder Anerkennung sei das Ergebnis von Glück, Zufall oder Täuschung.
Anstatt sich kompetent zu fühlen, leben sie mit der ständigen Angst, irgendwann „aufzufliegen“.
Wer besonders häufig betroffen ist
Das Impostor-Syndrom betrifft Menschen aller Alters- und Berufsgruppen – doch Studien zeigen deutliche Unterschiede zwischen Geschlechtern und sozialen Kontexten.
Ursprünglich wurde das Phänomen vor allem bei hochqualifizierten Frauen beschrieben, die in männerdominierten Umfeldern arbeiten (Clance & Imes, 1978). Bis heute berichten Frauen häufiger von Selbstzweifeln und dem Gefühl, ihren Erfolg nicht verdient zu haben.
Ursachen sind oft strukturelle und kulturelle Faktoren: gesellschaftliche Erwartungen, stereotype Rollenbilder und ein höherer sozialer Druck, sich zu beweisen.
Doch auch Männer, die in Leistungsberufen arbeiten oder stark auf äußere Anerkennung fixiert sind, erleben das Syndrom zunehmend.
Besonders gefährdet sind:
- Akademiker:innen und Studierende in leistungsorientierten Fächern
- Führungskräfte und Gründer:innen, die stark im öffentlichen Fokus stehen
- Menschen mit perfektionistischen Tendenzen oder geringem Selbstwertgefühl
Schätzungen zufolge erleben bis zu 75 % der Frauen und etwa 50 % der Männer in ihrer Karrierephasen impostor-ähnliche Gedanken (Bravata et al., Journal of General Internal Medicine, 2020).
Typische Gedanken und Verhaltensmuster
- „Ich bin nicht so gut, wie andere denken.“
- „Ich muss doppelt so hart arbeiten, um meinen Platz zu rechtfertigen.“
- „Irgendwann merken sie, dass ich gar nichts kann.“
Diese innere Haltung führt zu typischen Mustern:
- Perfektionismus: Fehler sind tabu, jede Aufgabe muss makellos sein.
- Überarbeitung: Erfolge sollen durch Fleiß „abgesichert“ werden.
- Vergleichsdenken: Andere wirken immer kompetenter.
- Abwertung von Erfolgen: Lob wird nicht angenommen, sondern relativiert.
Die psychologischen Ursachen
Das Impostor-Syndrom ist kein Persönlichkeitsdefekt, sondern meist ein erlerntes Muster.
Es entsteht häufig durch:
- Leistungsorientierte Erziehung: Liebe oder Anerkennung wird an Erfolge geknüpft.
- Soziale Vergleiche: Besonders in Social Media und leistungsstarken Umfeldern.
- Kultureller Druck: Gesellschaftliche Erwartung, immer produktiv und perfekt zu sein.
- Innere Glaubenssätze: „Ich bin nur wertvoll, wenn ich etwas leiste.“
Wissenschaftliche Perspektive
Studien zeigen, dass bis zu 70 % der Menschen im Laufe ihres Lebens Impostor-Gefühle erleben (Sakulku & Alexander, 2011).
Neuere Forschung verbindet das Phänomen mit Selbstwertregulation und Stressverarbeitung:
Menschen mit Impostor-Tendenzen zeigen höhere Cortisolwerte in Leistungssituationen und eine stärkere Aktivierung des präfrontalen Kortex, der mit Selbstkontrolle und Überdenken assoziiert ist (Vergauwe et al., Frontiers in Psychology, 2015).
Wege aus dem Hochstapler-Denken
- Selbstbeobachtung: Erkenne, wann du deine Leistungen kleinredest.
- Realitätscheck: Führe ein Erfolgstagebuch – notiere konkrete Belege deiner Kompetenz.
- Austausch: Sprich offen mit Kollegen oder Freunden. Du wirst überrascht sein, wie viele Ähnliches empfinden.
- Selbstmitgefühl: Akzeptiere, dass Wachstum Fehler braucht.
- Mentale Entlastung: Meditation, Atemübungen oder Journaling helfen, den inneren Druck zu regulieren.
- Professionelle Unterstützung: Bei starkem Leidensdruck kann Coaching oder Psychotherapie helfen, alte Glaubenssätze zu lösen.
Impostor-Syndrom im Überblick: Symptome, Ursachen & Strategien
| Symptome / Anzeichen | Mögliche Ursachen | Strategien & Lösungsansätze |
|---|---|---|
| Ständige Selbstzweifel – Erfolge werden als Zufall interpretiert | Leistungsorientierte Erziehung, fehlende emotionale Bestätigung | Erfolgstagebuch führen, objektive Rückmeldungen sammeln |
| Perfektionismus – Angst, Fehler könnten „Inkompetenz“ zeigen | Glaubenssatz: „Ich bin nur wertvoll, wenn ich perfekt bin“ | Fehler als Lernchancen reframen, bewusst unperfekte Aufgaben zulassen |
| Übermäßige Vorbereitung / Überarbeitung | Angst vor Bewertung, Wunsch nach Kontrolle | Pausen planen, 80/20-Prinzip anwenden, Arbeitszeit begrenzen |
| Abwertung von Lob – Komplimente werden nicht angenommen | Geringes Selbstwertgefühl, internalisierte Kritik | Lob bewusst annehmen und reflektieren („Was daran stimmt tatsächlich?“) |
| Vergleich mit anderen – Gefühl, nie gut genug zu sein | Soziale Medien, Wettbewerbsorientierung, stereotype Rollenbilder | Vergleich reduzieren, Fokus auf eigene Fortschritte legen |
| Angst, „aufzufliegen“ – innere Anspannung in Erfolgssituationen | Unsichere Identität, Selbstkonzept nicht mit Erfolgsrolle verbunden | Achtsamkeit, Atemübungen, Selbstmitgefühl trainieren |
| Erfolgsvermeidung – Chancen werden aus Angst vor Versagen abgelehnt | Überforderung, erlernte Hilflosigkeit | Kleine Erfolgsschritte planen, Mut zur Sichtbarkeit kultivieren |
Human Code Perspektive – Von Leistung zu Selbstwert
Das Impostor-Syndrom ist ein Spiegel unserer modernen Leistungskultur.
Im Human Code bedeutet wahre Stärke nicht, perfekt zu sein – sondern authentisch. Erfolg entsteht nicht aus Angst, sondern aus innerer Balance.
Wer lernt, sich selbst realistisch und mit Mitgefühl zu sehen, entzieht dem inneren Kritiker die Macht.
Das Prinzip dahinter: Selbstführung statt Selbstzweifel.
Durch Achtsamkeit, bewusste Pausen und klare Grenzen entsteht echte Stabilität – unabhängig von äußeren Erfolgen.
Literatur & Studien
- Clance, P. R., & Imes, S. A. (1978). The Impostor Phenomenon in High Achieving Women: Dynamics and Therapeutic Intervention. Psychotherapy: Theory, Research & Practice.
- Sakulku, J., & Alexander, J. (2011). The Impostor Phenomenon. International Journal of Behavioral Science, 6(1), 73–92.
- Vergauwe, J. et al. (2015). Fear of Being Exposed: The Trait-Relatedness of the Impostor Phenomenon and Its Relevance for the Understanding of Emotional, Motivational, and Cognitive Aspects of Self-Regulation. Frontiers in Psychology, 6, 1445.
